Ehemaliges ICNIRP-Mitglied fordert Revision der Grenzwerte

Quelle: Diagnose Funk

Eindeutige Beweise für Krebsrisiko der Mobilfunkstrahlung

“Clear evidence of cell-phone RF radiation cancer risk“, unter diesem Titel veröffentlichte Prof. Lin seinen Artikel über die Ergebnisse der NTP-Studie (1). Prof. James C. Lin war von 2004-2016 Mitglied der ICNIRP, von 2008-2012 Vorsitzender des ständigen Ausschusses für Physik und Technik der ICNIRP (Internationale Kommission für den Schutz vor nichtionisierender Strahlung). Die ICNIRP, ein privater Verein, ist das Legitimationsorgan der Mobilfunkindustrie. Ihre Grenzwertfestlegungen und Veröffentlichungen dienten bisher weltweit Regierungen dazu, den Mobilfunkausbau und die Strahlenbelastung als nicht gesundheitsschädlich zu rechtfertigen. Über diese Methoden hat diagnose:funk zwei Brennpunkte veröffentlicht (2).

In seinem Artikel “Clear evidence of cell-phone RF radiation cancer risk“ (full text), veröffentlicht in der Zeitschrift IEEE Microwave Magazine, stellt Prof. James C. Lin fest, dass die Ergebnisse der Krebsstudie des National Toxicology Program (NTP) der USA-Regierung nahelegen, dass die derzeitigen Richtlinien zur Hochfrequenz-Exposition (RF) zum Schutz der menschlichen Gesundheit unzureichend sind. Darüber hinaus empfiehlt er, dass die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) die Forschung neu bewertet und die Einstufung der HF-Strahlung von “möglicherweise krebserregend für den Menschen“ (Gruppe 2B) auf “wahrscheinlich krebserregend“ (d.h. Gruppe 2A) höhergruppiert wird. Prof. Lin lobt die FDA (Federal Drug Administration) und die NTP für die Initiierung und Durchführung der Studie und betonte die Notwendigkeit, dass die “US-Regierung solche Forschungsprogramme einleitet und durchführt und die Angelegenheit nicht vollständig der Mobilfunkindustrie überlässt“, da er befürchtet, dass “die Mobilfunkindustrie nahezu freie Hand bei der Entwicklung und dem Vertrieb von Mobiltelefonen und verwandten HF-Geräten hatte, wie sie es für richtig halten“. Prof. Lin war einer von vierzehn Experten, die im März dieses Jahres vom National Institute of Environmental Health Sciences einberufen wurden, um die Studie des National Toxicology Program zu überprüfen. Er ist emiritierter Professor für Elektrotechnik, Bioengineering, Physiologie und Biophysik an der University of Illinois, Chicago.

Die Veröffentlichung dieses Artikels ist jetzt besonders brisant, da die ICNIRP gerade dabei ist, ihre Richtlinien zur Strahlen­exposition zu aktualisieren. Die ICNIRP beabsichtigt, ihre veralteten Leitlinien auf der Grundlage ihrer seit langem vertretenen Auffassung zu bekräftigen, dass die Exposition gegenüber nichtthermischen HF-Strahlen keine Gesundheitsrisiken darstellt, v.a. um die Einführung von 5 G zu rechtfertigen. Lin widerspricht indirekt mit seinem Artikel dieser Absicht. Brisant sind die Aussagen von Lin, dass sich die bestehende Grenzwerte nur auf Kurzzeitexpositionen beziehen, und sie damit für die Bewertung von Dauerexpositionen durch Sendeanlagen und Smartphones untauglich macht.

Die geltenden ICNIRP-Grenzwerte schützen nicht, weil sie nur thermische Wirkungen erfassen. Sie beziehen weder nicht-thermische Wirkungen noch Langzeitzeitexpositionen ein und sind nicht auf die besondere Verletzlichkeit von Kindern und Jugendlichen ausgelegt (Gandhi 2011)(3). Das bestätigt die ICNIRP in einem Zusatzpapier ausdrücklich: “Verschiedene Gruppen in einer Bevölkerung können Unterschiede in ihrer Fähigkeit haben, eine bestimmte NIR-Exposition zu tolerieren. Zum Beispiel können Kinder, ältere Menschen und einige chronisch kranke Menschen eine geringere Toleranz für eine oder mehrere Formen der NIR-Exposition haben als der Rest der Bevölkerung. Unter solchen Umständen kann es sinnvoll oder notwendig sein, für verschiedene Gruppen innerhalb der Allgemeinbevölkerung getrennte Richtwerte zu entwickeln, aber es wäre effektiver, die Richtwerte für die Allgemeinbevölkerung so anzupassen, dass sie solche Gruppen einbeziehen“ (ICNIRP 2002)(4). Diesen Kriterien wurden die ICNIRP Grenzwerte nie angepasst.

Lins Artikel endet mit der Aufforderung: “Vielleicht ist es an der Zeit, die Situation vernünftig zu überdenken, zu revidieren und diese Richtlinien zu aktualisieren.“
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(1) Lin JC. Clear evidence of cell-phone RF radiation cancer risk. IEEE Microwave Magazine. 19(6):16-24. Sep/Oct 2018. DOI: 10.1109/MMM.2018.2844058. ieeexplore.ieee.org/document/8425056/

Lin JC. The NTP cell phone RF radiation health effects project. IEEE Microwave Magazine. 18(1): 15-17. Jan/Feb 2017. DOI: 10.1109/MMM.2016.2616239. ieeexplore.ieee.org/document/7779288/

(2) Analysen über den Lobbyismus und die Grenzwerte enthalten die Brennpunkte:

. Handystrahlung und Gehirntumore. Stand der Forschung; Mai 2017

. Mobilfunk – Grenzwerte entzaubert: Studie weist nach, wie Grenzwerte scheinwissenschaftlich legitimiert werden; Januar 2017

Siehe: www.diagnose-funk.org/publikationen/diagnose-funk-publikationen/brennpunkt

(3) Gandhi Om P. et al. (2011): Exposure Limits: The underestimation of absorbed cell phone radiation, especially in children; Electromagnetic Biology and Medicine, Early Online: 1–18, 2011 Copyright Q Informa Healthcare USA, Inc. ISSN: 1536-8378print / 1536-8386; online DOI: 10.3109/15368378.2011.622827; in deutscher Übersetzung als diagnose:funk Brennpunkt erschienen.

(4) ICNIRP statement 2002, general approach, Health Phys. 82, 540-548 (S. 546), Ergänzung der ICNIRP-Richtlinien von 1998 (auf denen die Grenzwerte beruhen),

Quellen:

www.saferemr.com/2016/05/national-toxicology-progam-finds-cell.html

www.emfsa.co.za/news/clear-evidence-of-cell-phone-rf-radiation-cancer-risk/

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Zitate aus Prof. Lins Artikel:
“On 28 March 2018, following a thorough review of the draft NTP reports, pathologists and toxicologists on the peer-review panel concluded that, among other observations, there was statistically significant and “clear evidence” that both GSM- and CDMAmodulated RF radiation had led to the development of malignant schwannoma (a rare form of tumor) in the heart of male rats (of the Harlan- Sprague-Dawley strain). Further, there was “equivocal evidence” for the same schwannoma risk among female rats. The panel also noted that there were unusual patterns of cardiomyopathy, or damage to heart tissue, in both RF-exposed male and female rats when compared with concurrent control animals. In addition, based on statistical significance, the panel concluded that the pathology findings showed indications of “some evidence” for RF-dependent carcinogenic activity in the brain of male rats, specifically glioma. However, the findings for female rats were deemed as providing only “equivocal evidence” for malignant gliomas when compared with concurrent controls …

Now that the NTP review panel has concluded there is clear evidence of carcinogenicity from long-term RF exposure in rats, is it conceivable that the IARC would upgrade its epidemiology-based classification of RF exposure to the next level of carcinogenicity to humans? As noted earlier, the existing RF exposure guidelines of 1.6 or 2.0 W/kg are promulgated with a reduction factor of 50, as a safety margin for the general public. The finding that long-term RF exposure could lead to cancer development in rats at levels that are the same as or no greater than a factor of three above these exposure guidelines is significant. While complacencies abound for short-term exposure guidelines in terms of providing safety protection, an outstanding question persists concerning the adequacy of these guidelines for safe, long-term exposure to RF radiation at or below 1.6 or 2.0 W/kg. Perhaps the time has come to judiciously reassess, revise, and update these guidelines.“

Übersetzung:
“Am 28. März 2018 kamen die Pathologen und Toxikologen des Peer-Review-Panels nach eingehender Prüfung der Entwürfe der NTP-Berichte zu dem Schluss, dass es unter anderem statistisch signifikante und “klare Beweise“ dafür gibt, dass sowohl GSM- als auch CDMA-modulierte HF-Strahlung zur Entwicklung eines malignen Schwannoms (einer seltenen Form von Tumoren) im Herzen männlicher Ratten (des Harlan-Sprague-Dawley-Stammes) geführt hat. Außerdem gab es “zweideutige Beweise“ für das gleiche Schwannomrisiko bei weiblichen Ratten. Das Panel stellte auch fest, dass es ungewöhnliche Muster der Kardiomyopathie oder eine Schädigung des Herzgewebes sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen Ratten mit HF-Exposition im Vergleich zu gleichzeitigen Kontrolltieren gab. Darüber hinaus kam das Panel aufgrund der statistischen Signifikanz zu dem Schluss, dass die pathologischen Befunde Hinweise auf “einige Hinweise“ auf eine HF-abhängige krebserzeugende Aktivität im Gehirn männlicher Ratten, insbesondere des Glioms, zeigten. Allerdings wurden die Befunde für weibliche Ratten als “schwache Hinweise“ für maligne Gliome im Vergleich zu gleichzeitigen Kontrollen angesehen ….

Nun, da das NTP-Überprüfungsgremium zu dem Schluss gekommen ist, dass es eindeutige Hinweise auf eine Karzinogenität durch langfristige HF-Exposition bei Ratten gibt, ist es denkbar, dass die IARC ihre epidemiologische Klassifizierung der HF-Exposition auf die nächste Stufe der Karzinogenität für den Menschen höherstufen würde?

Wie bereits erwähnt, legen die bestehenden HF-Belastungsrichtlinien von 1,6 oder 2,0 W/kg mit einem Reduktionsfaktor von 50 als Sicherheitsmarge für die Allgemeinheit fest. Die Erkenntnis, dass eine langfristige HF-Exposition bei Ratten zu einer Krebsentstehung führen könnte, deren Werte gleich oder nicht größer als der Faktor drei über diesen Expositionsrichtlinien sind, ist sehr bedeutend.

Während Übereinstimmungen vorhanden sind für Kurzzeitexpositionsleitlinien, bleibt im Sinne des Sicherheitsschutzes die Frage, ob diese Leitlinien für eine sichere, langfristige Exposition gegenüber HF-Strahlung bei oder unter 1,6 bzw. 2,0 W/kg geeignet sind. Vielleicht ist es an der Zeit, die Situation vernünftig zu überdenken, zu revidieren und diese Richtlinien zu aktualisieren.“

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Ein Kommentar von L. Hardell, M. Carlberg und L. Hedendahl.
Download (PDF, 1.7 MB)
www.diagnose-funk.org/download.php?field=filename&id=420&class=DownloadItem
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Autor:
L. Hardell, M. Carlberg und L. Hedendahl. Übersetzuung durch diagnose:funk. Veröffentlicht mit freundlicher Erlaubnis der Autoren.
Inhalt:
Die Arbeitsgruppe des Onkologen Prof. Lennart Hardell (Schweden) hat eine umfassende Interpretation der NTP-Studie vorgelegt, in der die Ergebnisse in Zusammenhang mit epidemiologischen und medizinischen-biologischen Studien gestellt werden (Hardell et al. 2018). diagnose:Funk legt mit diesem Brennpunkt eine Übersetzung dieser Arbeit vor.

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